Fotografie-Workshop IV: Bildgestaltung durch Schärfe Teil 2
Im zweiten Teil unseres Workshops zum Thema Schärfe widmen wir uns im Detail der Bewegungsunschärfe und ihren Einfluss auf die Anmutung Ihrer Fotografien.
Bewegungsunschärfe
Wie viel Schärfe verträgt die Aufnahme eines bewegten Motivs? Die Antwort ist nicht einfach und lässt sich nur finden, wenn wir uns sowohl mit dem Fotomotiv als auch mit der angestrebten Bildaussage auseinander setzen. Wenn wir an das gestochen scharfe Foto eines ins Wasser springenden Schwimmers denken, dann ist klar: Die hochspritzenden, wie gefroren wirkenden Tropfen machen das Bild zum Seherlebnis. Ähnliches gilt auch für viele andere Aufnahmen aus der Sport- und Actionfotografie, wie etwa für den in der Höhe zu verharren scheinenden Stabhochspringer oder den Torhüter bei der spektakulären Abwehr des Elfmeters.
Durch das Einfrieren von Bewegung verliert das Objekt zwar sein Aktionstempo, doch wird dieser Verlust durch eine für unser Auge ungewohnte und ungewöhnliche Sichtweise wettgemacht. Es wäre jedoch falsch, daraus die Regel abzuleiten, maximale Bewegungsschärfe führe automatisch zur bestmöglichen Wirkung, denn für den Erfolg eines scharfen Bewegungsbildes sind auch andere, vor allem formale Faktoren verantwortlich. Der Augenblick des Auslösens, die Art, wie sich das Objekt bewegt – das alles spielt eine maßgebliche Rolle. Ein Mensch kann noch so schnell laufen und noch so hoch springen, wenn ihn die Kamera im falschen Moment festhält oder der Bewegungsablauf nicht fotogen ist, wird das Ergebnis unbefriedigend werden.
Das Gefühl von Bewegung und Tempo lässt sich oft besser über die Illusion erzeugen: Wird Bewegung in Form von Unschärfe sichtbar gemacht, so ist das Objekt zwar nicht mehr vollständig erkennbar, doch erzeugen die Wischspuren den Eindruck von Aktion und Tempo – ein Effekt, der sich mit länger werdender Wischspur verstärkt. Ein fast schon klassisches Beispiel dafür ist das Foto eines fahrenden Autos: Wird es gestochen scharf abgebildet, so ist nicht zu erkennen, ob es und gegebenenfalls wie schnell es fährt. Wie Schärfentiefe, so ist auch Bewegungsunschärfe ein Gestaltungsmittel erster Güte, wobei es eine wesentliche Rolle spielt, ob die Unschärfe auf dem sich bewegenden Objekt liegt oder das Objekt scharf abgebildet ist und lediglich der Hintergrund verwischt dargestellt wird.
Im ersten Fall wird das Objekt mit steigendem Verwischungsgrad immer undeutlicher, bis schließlich die Verwischung so groß ist, dass sie nicht mehr als Bewegungssymbol empfunden wird, sondern schlicht als Fehler. Um das zu vermeiden, wird deshalb häufig ein zusätzlicher Blitz eingesetzt, dessen kurze Leuchtdauer über das verwischte Objekt ein klares, scharf konturiertes Abbild legt.
Im zweiten Fall wird das Objekt mehr oder weniger scharf abgebildet, während sich der Hintergrund in Wischspuren auflöst. Möglich wird dies durch das so genannte Mitziehen. Dabei wird die Kamera während des Belichtungsvorgangs (der lange genug sein muss) in die Bewegungsrichtung des Objekts mitgezogen – und zwar so, dass sich das Objekt im Sucher möglichst immer an derselben Stelle befindet. Dabei wird das Objekt zwar selten hundertprozentig scharf abgebildet, doch reicht die Schärfe normalerweise aus, um vom Betrachter noch akzeptiert zu werden.
Unschärfe fokussiert den Blick.

Wohin mit der Schärfe? Die Antwort ist einfach: dorthin, wo der Betrachter zuerst hinblicken soll.

Die Unschärfe im Vordergrund lenkt die Aufmerksamkeit von selbst auf das hintere Objekt.
Wie sehr die Art der Bewegungsunschärfe sich auf die Bildaussage auswirkt, aber auch von der Anforderung an die Deutlichkeit der Wiedergabe bestimmt werden kann, sollen zwei Beispiele verdeutlichen: Nehmen wir an, wir fotografieren zu Werbezwecken eine sportliche Limousine. In diesem Fall werden wir kaum ums Mitziehen herumkommen, da wir damit einerseits Tempo suggerieren können und andererseits das Äußere des Autos immer noch akzeptabel deutlich zu «lesen» ist. Ganz anders, wenn die Aufgabe lautet, mit der Aufnahme Kinder vor den Risiken im Straßenverkehr zu warnen. Ist hier nebst dem Kind am Straßenrand auch noch ein verwischtes Auto im Hintergrund zu sehen, so wird die vom fahrenden Auto ausgehende Gefahr wesentlich augenfälliger, als wenn das Auto gestochert scharf abgebildet würde und aussähe, als sei es geparkt.
Sollte eine digitale Aufnahme allen Bemühungen zum Trotz zu bewegungsscharf ausfallen oder dachten Sie beim Fotografieren noch gar nicht an die Möglichkeit, das Bild mit Wischeffekten tempogeladener wirken zu lassen, so können Sie das später in Ruhe nachholen.
Die meisten guten Bildbearbeitungsprogramme bieten Filteroptionen an, mit denen sich Bewegungsunschärfe in verschiedener Form erzeugen lassen. Während Störfilter wie z.B. «Windeffekt » oder «Verwacklung» eher Einzelfällen vorbehalten sind und nur sparsam eingesetzt werden sollten, kann die Weichzeichnerfilter- Option «Bewegungsunschärfe» perfekt Bewegung vortäuschen. So genügen beispielsweise ein paar Mausklicks, um ein stehendes Fahrzeug scheinbar zum Fahren zu bringen.
Das Vorgehen ist prinzipiell gleich wie beim partiellen Unschärfen (Auswahl markieren, Filter aktivieren), nur dass nicht eine normale Weichzeichnung erfolgt, sondern eine Verwischung, deren Stärke und Bewegungswinkel menügesteuert an das Motiv angepasst werden kann.
Praxistipps
Jeder Wischeffekt beeinträchtigt die Genauigkeit der Objekt-Wiedergabe. Bewegungsunschärfe nur wählen, wenn die Visualisierung von Bewegung und Tempo wichtiger ist als die Erkennbarkeit des Fotoobjekts.
Wischeffekt auf Objekt
- Aufpassen, dass nur das Objekt und nicht auch der Hintergrund unscharf wird. Dazu Kamera auf ein Stativ setzen oder abstützen.
- Belichtungszeit so wählen, dass ein deutlicher Wischeffekt entsteht. Bei zu kurzer Belichtung wirkt das Bild verwackelt und fehlerhaft. Ist das vorhandene Licht zu hell für den verwendeten Film oder Bildsensor und will man aus gestalterischen Gründen nicht stärker abblenden, so lässt sich die Belichtungszeit mit einem neutralen Graufilter verlängern.
- Beim Blitzen TTL- Belichtungsautomatik wählen (wenn möglich matrixgesteuert), damit sich die Mischung von Umgebungslicht und Blitzlicht harmonisch zeigt. Mit Slow-Synchronisation (Blitzen auf den zweiten Verschlussvorhang) arbeiten. Mit Minus- oder Pluswerten am Blitzgerät lässt sich die Blitzwirkung optimieren.
Wischeffekt auf Hintergrund
- Für einen gelungenen Mitzieheffekt nicht zu früh auslösen. Die Kamera mitziehen und während des Mitziehvorgangs den Auslöser weich niederdrücken. Danach die Kamera fließend weiterziehen, bis der Belichtungsvorgang beendet ist.
- Belichtungszeit wählen, die lang genug ist, um im Hintergrund genügend Wischspuren zu erzeugen und kurz genug, um das Hauptobjekt genügend scharf abzubilden.
- Bei Automatikbetrieb mit Blendenautomatik (S) arbeiten und Belichtungszeit vorgeben. Da der Hintergrund ohnehin nur verwischt dargestellt wird, spielt die Schärfentiefe (= Wahl der Blende) kaum eine Rolle.
- Auch beim Mitziehen die Möglichkeit eines Aufhellblitzes in Betracht ziehen, der noch etwas mehr Schärfe auf das Hauptobjekt legt.
Digital
- Der Zugang zum digitalen Wischeffekt erfolgt in Adobe Photoshop über das Menü Filter / Weichzeichnungsfilter / Bewegungsunschärfe. Dort lässt sich die Länge der Wischspuren in Pixeln sowie die Bewegungsrichtung (Winkel) in Graden vorgeben. Darauf achten, dass die Richtung der Wischspuren mit der tatsächlichen Bewegungsrichtung korrespondiert.
- Um bei Fahrzeugen die Illusion von Fahrt noch täuschender zu gestalten, können die Räder mit dem „radialen Weichzeichnerfilter“ kreisförmig verwischt werden.
Weichzeichnung

Wohin mit der Schärfe? Die Antwort ist einfach: dorthin, wo der Betrachter zuerst hinblicken soll.
Weichzeichnung ist in der Fotografie eines der ältesten und zugleich wirksamsten Stilmittel, um ein Übermaß an Realismus zum Verschwinden zu bringen und Fotos visuell «geschmeidiger » zu machen. Durch die Überdeckung von Bilddetails, Strukturen und Formen mit gezielter Unschärfe, führt Weichzeichnung zu einer sanften, idealisierenden und romantisierenden Wirkung, weshalb sie heute fast nur noch bei Porträt- und Aktfotos eingesetzt wird, wo sie Hautunreinheiten und andere kleine physiognomische Unregelmäßigkeiten gnädig übertüncht.
Denkbar ist allerdings auch der Einsatz von Weichzeichnern bei Landschaften, die ohnehin schon eine weiche Lichtstimmung aufweisen – zum Beispiel bei starkem Nebel. Weichzeichnende Effekte lassen sich sowohl während der Aufnahme wie auch – auf digitalem Weg mittels Bildbearbeitungsprogramm – danach erzeugen. Dabei spielen die guten alten Weichzeichnerfilter in der herkömmlichen Fotografie auch heute noch die wahrscheinlich wichtigste Rolle. Erhältlich mit verschiedenen Weichzeichnungs-Faktoren lassen sie sich relativ gut an die jeweiligen Gestaltungsabsichten anpassen. Wer keinen Weichzeichnerfilter zur Hand hat, kann sich aber auch mit einem einfachen und obendrein kostengünstigen Mittel behelfen: Anstelle des Glasfilters spannt er vor das Objektiv einen schwarzen Nylonstrumpf oder eine feine Gaze. Noch einfacher geht’s mit dem Anhauchen der Objektivfrontlinse. Da das Beschlagen der Linse nicht lange anhält, erfordert dieser alte Trick ein rasches Handeln; zudem ist eine zuverlässige Kontrolle der Weichzeichnung kaum möglich.
Die eleganteste Art der Weichzeichnung lässt sich mit Photoshop und Co. verwirklichen. Wer es schnell mag, kann dazu entweder den normalen oder starken Weichzeichnungsfilter aktivieren. Ein Mausklick genügt, und schon zeigt sich das Bild gesoftet. Für genaueres und nuancierteres Arbeiten empfiehlt sich allerdings die Option «selektive Weichzeichnung» oder der «Gauss’sche Weichzeichner», bei denen zum Teil mehrere Parameter verändert und die Wirkung damit optimal an das Bild angepasst werden können. Wie bei allen digitalen Manipulationstechniken gilt auch hier: Probieren geht über studieren.
Seit Version 7.0 bietet Photoshop als Tool den «Protokollpinsel» in Kombination mit einer beliebigen Zahl an «Schnappschüssen» an, mit dem sich Bilder einfacher und schneller bearbeiten lassen. Im Gegensatz zur konventionellen Methode ist hier keine unschöne Retuschekante zu befürchten. Die Technik eignet sich für unterschiedliche Bildmanipulationen, zeigt ihre Stärke aber vor allem beim selektiven Unschärfen. Beim vorliegenden Beispiel gilt es den störenden, zu scharfern Hintergrund weichzuzeichnen.
- Schritt 1: Nach dem Laden der Originaldatei wird im Menü Fenster der Protokoll-Browser aktiviert.
- Schritt 2: Das gesamte Bild wird mit dem Gauss’schen Weichzeichnerfilter weichgezeichnet und danach durch Klicken auf das Kamerasymbol ein Schnappschuss erzeugt. Der Schnappschuss wird als Icon im Protokollfenster angezeigt. Durch Anklicken des Schnappschuss-Icons kann von einer Bildversion zur anderen gesprungen werden.
- Schritt 3: Nun wird der erste Schnappschuss angeklickt und damit das zu scharfe Originalbild geladen. Danach wird der Protokollpinsel für den zweiten Schnappschuss (unscharfes Bild) aktiviert. Dazu links vom Schnappschuss auf das Werkzeugfeld klicken. Der Protokollpinsel übernimmt nun die Eigenschaften des unscharfen Bildes.
- Schritt 4: Mit dem Pinsel (passende Werkzeugspitze wählen!) wird nun der Hintergrund unscharf «gemalt», bis das gewünschte Resultat erzielt ist. Durch Einstellen einer geringeren Deckkraft kann das Risiko von unschönen Retuschekanten weiter reduziert werden. Nach Beendigung des Bearbeitungsschritts das fertige Bild speichern.
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